Ausgabe 7 – Juni 2024

Zwischen Überflieger und Unterkurs – Leistungsdruck im schulischen Kontext

Die Schule setzt Schüler nahezu aller Altersklassen unter Druck, daran besteht kein Zweifel. Auch die renommierte Wochenzeitung ZEIT berichtete erst diesen Januar über Druck seitens der Schule, bereits Achtjährige seien hiervon beeinflusst. Andere Quellen stellen jedoch infrage, ob dieser Druck tatsächlich seitens der Schule ausgeübt wird. Auch das Elternhaus kann einen massiven Einfluss auf das individuelle Druckempfinden haben. Nicht zu vergessen ist zudem das gleichaltrige Umfeld. Helfen sich die Klassenmitglieder untereinander oder kommt es zu einer Art internem Wettbewerb?

Dass Druck in vielen Fällen zu ungesunden Angewohnheiten bis hin zu psychischen Leiden führen kann, ist kaum anzweifelbar. Dennoch stellt sich die Frage, wie die Situation an unserer Schule einzustufen ist. Mithilfe einer Umfrage wollen wir auf diese Frage eingehen. Die 80 Teilnehmer der Umfrage stammen dabei aus verschiedenen Jahrgängen und werden anonym behandelt. Es sind verschiedene Notenbilder in der Umfrage vertreten, welche mit einem Gesamtdurchschnitt des letzten Zeugnisses von 1,96 zahlreiche gute und sehr gute Notenbilder einschließen, jedoch auch Schnitte im 3er- bis 4er-Bereich enthalten.

Es überrascht kaum, dass die Gesamtempfindung des Drucks nicht nennenswert von den bundesweiten Trends abweicht. Durchschnittlich würden die Befragten auf die Frage, ob die Schule sie stresse mit „Trifft eher zu“ antworten (zur Auswahl stehen „Trifft nicht zu“, „trifft eher nicht zu“, „trifft eher zu“ und „trifft zu“). Interessant ist jedoch die Abweichung von diesem Mittelwert, sofern nur Teilnehmer der 5. Klasse betrachtet werden (insgesamt 16), fällt hier die Antwort doch tatsächlich eher knapp zugunsten der Aussage: „Trifft nicht zu“, aus. Es gilt also herauszufinden, ob innerhalb der Altersklassen große Differenzen auszumachen sind. Zunächst steht jedoch die Frage im Vordergrund, wie der Druck, dem doch scheinbar auch die Schüler unserer Schule unterliegen, zustande kommt. Freunde und Familie scheinen hierbei in unserer Schule den Aussagen zufolge eine sekundäre Rolle zu spielen, schließlich ist zu notieren, dass auf die Frage, ob die Sorge, andere zu enttäuschen, verspürt werde, im Mittel eine Antwort zwischen „trifft eher zu“ und „trifft eher nicht zu“ gegeben würde, aber keine sich aufdrängende Antwort, die diese These bestätigen würde, vorzufinden ist.

Dennoch darf nicht vergessen werden, dass bisher überwiegend Mittelwerte in die Betrachtung mit einbezogen wurden. Zwar erscheint über die Befragten gemittelt kein nennenswerter Ausschlag zugunsten eines Drucks durch die Sorge zu enttäuschen, für 39 Personen ist dieser Druck jedoch durchaus real. Beruhigend ist in dieser Hinsicht allerdings, dass im Durchschnitt jeder Befragte sieben Freunde alleine in seiner Klasse zählen kann. Es herrscht in einigen Fällen zwar augenscheinlich ein inneres Bedürfnis vor, den Erwartungen der anderen gerecht zu werden, es scheint jedoch nur in Ausnahmefällen das Problem sozialer Isolation in den Klassen die inneren Unruhen zu begünstigen. Diese Feststellung wird nicht zuletzt dadurch gestützt, dass die Befragten mehrheitlich angeben, sich in ihrer Klasse anerkannt zu fühlen. Die Ursache des schulischen Drucks scheint vielmehr in den Noten zu liegen, als in sozialen Problemen. Zwar wird mehrheitlich angegeben, nicht als Vorbild wahrgenommen zu werden, viel interessanter erscheint jedoch, dass die eigenen Noten insgesamt eher unter Druck setzten als zu Zufriedenheit führten, so die Befragten. Und das obwohl die meisten auf der anderen Seite behaupten, sich an ihren guten Noten zu erfreuen. Kaum eine andere Frage konnte ein derart klares Ergebnis liefern. Lediglich die Tatsache, dass die eigenen Noten mit einem gewissen Aufwand verbunden seien, wird ebenso bereitwillig unterstützt.

Die Tendenz ist also klar. Die meisten Befragten fühlen sich durch ihre Noten unter Druck gesetzt. Sie geben an, dass ihnen schulische Noten tendenziell eher viel bedeuteten und sie daher eher das Gefühl hätten, liefern zu müssen. Schlechte Noten seien dabei eher frustrierend und gerade Klausuren gingen oft mit Druck einher. Im Durchschnitt sind die Schüler unserer Schule dabei scheinbar recht hart zu sich selbst, schließlich wird bereits die Note 3- (7 Punkte) als frustrierend empfunden.

Doch versuchen wir einmal etwas Distanz von den rein statistischen Ergebnissen zu gewinnen, um diese besser einordnen zu können. Die Zeitschrift Geo schreibt über Druck im Arbeitsumfeld: „Psychischer Druck wird heutzutage am häufigsten durch das Gefühl ausgelöst, nicht ausreichend Zeit für eine Aufgabe zu haben“. Eine Aussage, die durchaus auch im schulischen Rahmen zutrifft. Zu sehen ist dies nicht zuletzt an den Verbesserungsvorschlägen, die die Befragten hinsichtlich des Systems Schule äußern. Arbeiten sollten reduziert werden, oder mündliche Noten zumindest stärker gewichtet werden, der Stress müsse allgemein verringert werden. Auch Hausaufgaben und die Verteilung von Klausuren über das Schuljahr böten Verbesserungspotential, so die Schülerschaft. Darüber hinaus wird darum gebeten, den Ankündigungszeitraum für Klausuren/Klassenarbeiten auszuweiten, um mehr Vorbereitung zu ermöglichen. All dies stellt sicherlich nur einen kleinen Anteil der Vorschläge dar, signalisiert jedoch: Die Problematik ist bekannt. Zeitliche Engpässe spielen eine maßgebliche Rolle im Zusammenhang mit schulischem Stress.

Und dieser ist in seiner Auswirkung nicht unerheblich. Er werde unruhig, perfektionistisch, hart zu sich selbst, gibt ein Teilnehmer der Umfrage an. Ein anderer notiert, seine Aufmerksamkeit sinke und er beginne zu schwitzen. Andere Schüler geben gar an, sie besäßen keine Motivation mehr, verhielten sich nahezu depressiv bis autistisch und litten unter Schlafstörungen. Wieder andere sehen die negativen Auswirkungen vorwiegend in der verminderten Ausprägung ihres Privatlebens.

Interessant sind dabei insbesondere ein  Aspekt. So scheint trotz der von mehreren angegebenen Probleme im sozialen Kontext, offensichtlich keine langfristige Isolierung zu folgen, da diesbezüglich kein Missstand unter den Befragten festgestellt werden kann. Einige Befragte geben gar an, sie fokussierten sich zwar durch den Stress auf sich selbst, helfen aber durchaus auch anderen. Ein durchaus relevanter Ansatz, ist doch die Annahme mehr als vakant eine soziale Isolation löse das Problem des notenbedingten Stresses, auch wenn die zeitlichen Engpässe in diesem Kontext nicht zu verkennen sind. Zudem ist es durchaus nicht nachteilig anderen zu helfen. Zum Teil trägt gerade die eigens ausgeführte Erklärung eines Sachverhaltes dazu bei, diesen genauer zu durchdenken und zu verstehen.

 

Guter Schüler, schlechter Schüler – Druckempfindung bei extremen Notenbildern

Es gibt sie in eigentlich jeder Klasse: Schüler, die scheinbar problemlos durch bestimmte Fächer kommen, denen die Schule nichts auszumachen scheint. Schnell wird sich des Klischees bedient, erausragend gute Schüler seien vor schulischen Sorgen gefeit. Aber ist dieses  Klischee wirklich begründet?

Ganz im Gegenteil gibt ein Befragter mit einem Durchschnitt jenseits der 1,0 an, sich gerade aufgrund der eigenen Probleme unter Stress zu isolieren, um anderen zu ersparen mit unter der Situation zu leiden. Ein anderer Befragter, dessen Schnitt mit 1,3 ebenfalls eine hervorragende Leistung darstellt, beklagt mentale Probleme, gibt an zwischenzeitlich weinen zu müssen, verzweifelt zu sein und Freizeitaktivitäten zum Teil fallen zu lassen, um mehr Zeit für die Schule aufbringen zu können. Gereiztheit, Überforderung, Burn-Out Situationen und eine Grundanspannung notiert ein dritter Teilnehmer mit identischem Notendurchschnitt. Und doch wirft gerade die Tatsache, dass schulische „Leistungsträger“ ebenfalls unter derartigem Druck leiden, weitere Fragen auf. „Es geht im Kern nicht um die Note, die jemand sich zum Ziel setzt, es geht vielmehr um den Toleranzbereich“, so eine anonyme Stimme. Die dahinterstehende Aussage ist durchaus schlüssig. Zeichnet man einmal das Bild eines ausgesprochen leistungsstarken Schülers, der sich zum Ziel setzt, eine 1 in einer Klausur zu schreiben, weil er der festen Überzeugung ist, diese Note erreichen zu können, so stellt sich folgendes Problem: Es bleiben lediglich zwei Optionen. Das Ziel kann erreicht werden, oder es wird verfehlt, da zumindest ein Übertreffen in der Mittelstufe eigentlich auszuschließen ist. Wird nun jede Art von Verfehlung des Ziels als Misserfolg gewertet, ist die Spanne der Möglichkeiten, die mit Zufriedenheit einhergehen, nur noch sehr klein. Was mit der Zeit verloren geht, ist daher das Gefühl des Erfolges, der nach und nach zu einer Art Notwendigkeit wird. Dabei fehlt die Freude, sich übertreffen zu können. Was zurückbleibt, ist somit überwiegend die Sorge vor dem Misserfolg. Tritt nun der Erfolg ein, erhöht dies den Druck auf die nächste Leistungskontrolle. Hier existieren nun die zwei Möglichkeiten, sein Notenbild zu halten, oder sich zu verschlechtern. Die potentielle Freude über die Noten leidet unter Umständen gar darunter, dass Sie lediglich als bereits errungene Leistung angesehen werden und nun als obligatorischer Anspruch angesehen werden. In gewisser Weise lässt sich somit eine Art Notensucht erahnen. Was zunächst absurd klingt ist ein durchaus reales Problem. So notiert die Berliner Zeitung: „Schüler werden regelrecht süchtig nach der Bestätigung von außen“ auch eine Stellungnahme der Süddeutschen Zeitung macht deutlich, es existiert eine Art Sucht nach Noten die nicht zuletzt durch Druck im Sinne einer Leistungsgesellschaft gefördert werde. Dabei ist an sich nichts verwerfliches an einer derartigen Sicht zu finden, sie ist verhältnismäßig zielorientiert und führt in der Regel zu einer gesteigerten Anerkennung. Lediglich der aus ihr resultierende Stress und die abnehmende Zufriedenheit stellen eine Parallele zu herkömmlichen Suchtkonzepten dar.

Doch selbst wenn die Situation des fiktiven Schülers nicht mit einer Sucht beschrieben werden kann, setzt ihn sein Notenbild nicht unwesentlich unter Druck. Unlängst hat sein Umfeld von seinen Leistungen erfahren. Es ist das allgemeine Bild entstanden, er schreibe ohnehin immer eine 1, obschon es hierfür keine Garantie gibt oder geben kann. Aus diesen Vorurteilen resultiert, verfehlt der Schüler sein eigenes Ziel, wird seine Unzufriedenheit unter Umständen dadurch gesteigert, dass er sich blöde Sprüche anhören muss oder zumindest eine Wertung seines Resultats auch durch andere erfolgt. Mit diesem Wissen im Hintergrund erscheint das Phänomen „unter Stress trotz überragender Leistungen“ deutlich plausibler.

Auch Leistungen unterhalb des Durchschnittes können frustrierend sein. Erreicht ein Schüler seine persönlichen Ziele schulischer Art durchweg nicht, stellt dies die Selbstwahrnehmung in Frage. Doch was für Auswirkungen resultieren daraus auf das Stressenpfinden?

Reduziert man die Umfrage auf alle Befragten mit Notenschnitten ab 3,0 steigt das Stressempfinden deutlich über den Durchschnitt.

Anders als beim Gegenbeispiel, Notendruck durch gute Noten,  ist der Grund hier auf den ersten Blick plausibler. Die ausstehenden zukünftigen Noten setzen den Schüler unter Druck, da er die Befürchtung hegt, sie könnten ihn, oder andere enttäuschen, denn auch letzteres spielt bei ebendieser Befragtengruppe eine bedeutsame Rolle. Selbstzweifel kommen auf. Und das in den meisten Fällen unbegründet, ist doch eine Person nicht nur als die Summe ihrer Noten oder Leistungen zu begreifen.

Notendruck am Gymnasium Horn – Wie brisant ist das Thema?

Das Thema Notendruck ist allgegenwärtig und wohl  aus keiner Schule gänzlich wegzudenken. Doch wie relevant ist das Thema wirklich?

Fassen wir die erhobenen Umfrageergebnisse zusammen, zeigt sich, dass auch das Gymnasium Horn in puncto Stress durch Schule nicht signifikant vom Bundestrend abweichen kann. „Fast jeder zweite Schüler (43 Prozent) leidet unter Stress. Das wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus: Ein Drittel der betroffenen Jungen und Mädchen hat Beschwerden wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Schlafprobleme – das sind mindestens doppelt so viele wie bei den nicht-gestressten Schülern“, so eine Umfrage der DAK Krankenkasse von 2017. Was sich jedoch festhalten lässt ist, dass sowohl das obere Notenspektrum als auch das untere Notenspektrum von gewissen Drucksituationen besonders betroffen sind.

Weiter ist am Gymnasium Horn jedoch noch eine Abweichung des fünften Jahrgangs zu betrachten. Insgesamt geben die Befragten aus diesem Jahrgang durchaus an, Noten würden ihnen eher etwas bedeuten. Die Noten setzen sie jedoch gemäß der Antworten unterdurchschnittlich stark unter Druck und auch Klausuren scheinen hier noch ein geringeres Druckempfinden auszulösen. Ein Trend, der grundsätzlich begrüßenswert ist, bedeutet er doch unter Umständen eine größere Freude der Betrachteten Schüler am Alltag. Es ist jedoch fraglich, ob die Einstellung sich langfristig hält. Denkbar ist ebenfalls, dass Prozesse, wie der zunehmende Druck durch Gewöhnung an Noten oder aber auch Enttäuschungen erst mit der Zeit aufgebaut werden, einen Teil der gesammelten Erfahrungen im schulischen Kontext darstellen.

So oder so ist die Entwicklung auch in Zukunft im Auge zu behalten. Denn Stress und Druck münden schnell in weitaus beunruhigenderen Situationen: „Leichte depressive Verstimmungen bis hin zu schweren depressiven Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Im Vorschulalter sind ca. 1 % der Kinder und im Grundschulalter ca. 2 % betroffen. Aktuell erkranken etwa 3-10 % aller Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren an einer Depression“, so die Stiftung deutsche Depressionshilfe. Und ein Abgleiten in die Depression gilt es schließlich mit allen Mitteln zu verhindern, nicht zuletzt da oft Begleiterscheinungen wie Essstörungen auftreten. Auch wenn keine genauen Aussagen über den diesbezüglichen Stand unserer Schule getroffen werden können, liegt es nahe anzunehmen, dass auch hier der Bundestrend nicht gänzlich verkehrt liegen wird.

Es erscheint daher sinnvoll, sich bereits präventiv mit dem Thema Notendruck auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, dass Ausgleichsmöglichkeiten wie Hobbys geschaffen werden, die schulische Misserfolge auffangen können. Ebenso relevant ist, dass das eigene Selbstbild nicht lediglich an Noten festgemacht wird.

Konkludierend ist somit festzuhalten: Auch unsere Schule zeigt Probleme hinsichtlich des Leistungsdrucks. Der Hintergrund der Sorgen ist oft verständlich, es gilt jedoch zu verhindern, dass eine derartige Sorge in eine tatsächliche psychische Erkrankung mutiert. Gefragt ist das direkte Umfeld, aber auch eine Alltagsstruktur, die neben der Schule noch andere Ausgleichskomponenten zulässt. Denn Schule ist zwar ein wichtiger Schlüssel für das spätere Leben, soll jedoch Möglichkeiten und keine langfristigen Probleme oder Leiden schaffen.

Quellen

  • https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2024-01/leistungsdruck-grundschule-kinder-stress-lehrer Zitat: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/20967-rtkl-psychische-belastung-wie-sich arbeitsstress-mit-einfachen-tricks#:~:text=Psychischer Druck wird heutzutage am,fühlen sich gehetzt und rastlos.
  • https://www.berliner-zeitung.de/zukunft-technologie/interview-mit-bildungsforscher-schulnoten machen-suechtig-li.57227
  • https://www.sueddeutsche.de/bildung/leistungsdruck-an-der-schule-fatale-gier-nach-guten noten-1.1960561
  • https://www.dak.de/dak/bundesthemen/fast-jeder-zweite-schueler-leidet-unter stress-2116176.html#/
  • https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/depression-in verschiedenen-facetten/depression-im-kindes-und-jugendalter#:~:text=Aktuell erkranken etwa 3-10,Angststörungen, Essstörungen und ADHS einhergeht.

Der Pygmalion-Effekt – Wie Erwartungen den Fortschritt formen

Die Erwartungen, die wir selbst und andere an uns stellen, nehmen Einfluss auf unser Handeln und die von uns erbrachte Leistung. Welche Auswirkungen hat der sogenannte Pygmalion-Effekt auf Schüler?

1965 führten Robert Rosenthal und Lenore Jacobson, zwei US-amerikanische Psychologen, ein Experiment durch, bei dem sie Grundschulkindern einen IQ-Test gaben und dann ihre Lehrer darüber informierten, welche Kinder durchschnittlich und welche Kinder „Aufblüher“ sein würden. Letzteres bezeichnet die zwanzig Prozent der Schüler, die ein „ungewöhnliches Potenzial für intellektuelles Wachstum“ zeigten. Daraufhin richteten die Lehrer ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Aufblüher, da sie von den Durchschnittskindern nicht zu viel erwarteten. Sie schufen ein angenehmeres Umfeld für die Aufblüher; sie schenkten ihnen mehr Zeit und Aufmerksamkeit, forderten sie häufiger auf, Antworten zu geben, und gaben ihnen ein ausführlicheres Feedback, wenn sie etwas falsch machten. Was die Lehrer jedoch nicht wussten war, dass die Aufblüher nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden und dieses Kriterium möglicherweise nicht erfüllten.

Dies ist eine der bekanntesten Studien über eine der Unterarten der sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen”. Eine selbsterfüllende Prophezeiung ist eine Vorhersage, die ihre Erfüllung selbst bewirkt. Kurz gesagt, eine falsche Realität könnte aufgrund der psychologischen Reaktionen der Menschen auf Vorhersagen, Ängste und Sorgen im Zusammenhang mit der Zukunft tatsächlich zur Wahrheit werden. Ein wesentlicher Mechanismus ist: Menschen glauben an die Vorhersage. Deswegen agieren sie so, dass sie sich erfüllt. Es kommt zu einer positiven Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten.

Die besondere Art der selbsterfüllenden Prophezeiungen, die hier untersucht wurde, heißt Pygmalion-Effekt”. Er ist nach dem griechischen Mythos von Pygmalion benannt, dem Künstler, der sich so sehr in die von ihm geschaffene, perfekte Statue verliebte, dass diese zum Leben erwachte. Nach dem Pygmalion-Effekt werden die von den Lehrern an die Schüler gestellten Erwartungen von den Schülern verinnerlicht und werden Teil ihres Selbstkonzepts, und sie handeln entsprechend ihrer inneren Überzeugungen über sich selbst.

Die Ergebnisse des Experiments bestätigen diese These. Als Rosenthal und Jacobsen nach acht Monaten die Intelligenz der Kinder erneut untersuchten, zeigten die Ergebnisse, dass die IQ-Werte der Aufblüher deutlich stärker gestiegen waren als die der Durchschnittsschüler, obwohl diese akademischen Aufblüher nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden waren. Die Aufblüher hatten im Durchschnitt zwei IQ-Punkte mehr im sprachlichen Ausdrucksvermögen, sieben Punkte mehr im logischen Denken und vier Punkte mehr im Gesamt-IQ. Das Experiment zeigte, dass die Erwartungen der Lehrer wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirkten. Die Erwartungen der Lehrer hatten die Art und Weise verändert, wie die Kinder behandelt wurden, und dies hatte Auswirkungen auf ihre Fähigkeiten.

Diese Ergebnisse konnten auch bei Studenten repliziert werden. Studien, die in Algebra-Klassen an der Air Force Academy, bei Studenten der Ingenieurwissenschaften und an vielen anderen Universitäten durchgeführt wurden, bestätigten diese Ergebnisse. Sie kann auch am Arbeitsplatz beobachtet werden, wenn eine leitende Person ihre Erwartungen an die Leistung der Arbeitnehmer erhöht und dies tatsächlich zu einer Steigerung der Leistung der Arbeitnehmer führt.

Der Pygmalion-Effekt zeigt sich auch in unserem Schulsystem. Die Ergebnisse der Klassenarbeiten können den Erfolg eines Schülers in einem Fach stark beeinflussen, obwohl sie eigentlich nichts darüber aussagen. Die Klassenarbeiten messen oft nicht, wie gut ein Schüler in einem Fach ist, sondern wie gut der Schüler sich Informationen merken und sie in einer bestimmten Zeitspanne entsprechend anwenden kann. Jedoch haben viele andere Aspekte dabei einen Einfluss. Vielleicht kann der Schüler sich Informationen nicht gut merken, aber sie gut anwenden, wenn sie vorhanden sind. Vielleicht ist der Schüler gestresst, wenn er eine Aufgabe in kurzer Zeit erledigen muss, und vergisst deshalb Informationen in der Klassenarbeit. Vielleicht ist der Schüler mündlich immer sehr gut, aber kann sich schriftlich nicht so gut ausdrücken. Das sind Aspekte, die komplett unabhängig von dem Erfolg eines Schülers in einem Fach sind, jedoch den Erfolg in einer Klassenarbeit stark beeinflussen.

Dadurch bekommen Schüler oft Noten, die ihrem Potenzial gar nicht entsprechen, und die auch beeinflussen, wie sie von anderen Schülern und Lehrern betrachtet werden. Das kann dazu führen, dass diese Schüler nie ihr Potenzial erreichen, weil andere und sie selbst glauben, dass sie einfach nicht gut in dem Fach sind. Andererseits führt es auch zu Schülern, die ihr Selbstkonzept an die Fächer binden, in denen sie gut sind, was dann Selbstzweifel und sogar eine Identitätskrise riskiert, falls sie eine schlechte Note in diesem Fach bekommen. Dies kann bereits in der Grundschule beginnen, wo sich Lehrer und Eltern aufgrund ihrer schulischen Erfolge eine Meinung über die Schüler bilden, was oft unbewusst passiert, aber trotzdem den Erfolg eines Schülers stark beeinflusst.

Was könnte man also tun, um die negativen Folgen des Pygmalion-Effekts zu verringern und ihn zu Nutze machen, um die Schüler positiv zu beeinflussen? Man kann mehr Klassenarbeiten schreiben, die weniger Wert haben, Schüler, Lehrer und Eltern können über solche Effekte und ihre Folgen informiert werden, sodass negative Folgen möglichst verringert werden, und Lehrer und Eltern können positives und konstruktives Feedback und Unterstützung geben. Es gibt viele Möglichkeiten, es liegt nun an uns, sie zu verwirklichen.

 

Quellen:

https://www.simplypsychology.org/self-fulfilling-prophecy.html

https://en.wikipedia.org/wiki/Pygmalion_effect#:~:text=Rosenthal%20and%20Jacobson%20held%20that,leading%20to%20self%2Dfulfilling%20prophecy

https://www.sciencedirect.com/topics/psychology/self-fulfilling-prophecy#:~:text=Self%2Dfulfilling%20prophecy%2C%20also%20known,the%20prophesied%20or%20expected%20behavior

https://www.oppidaneducation.com/blog/the-pygmalion-effect-how-expectations-sculpt-progress

Der Dexit ist KEINE Alternative für Deutschland!

Lange war es selbst innerhalb der Reihen der AfD umstritten. War man als Antieuropäer auch für einen Dexit? Nun gehört der Austritt aus der europäischen Union längst dem Wahlprogramm der Alternative für Deutschland an. So äußerte sich erst Anfang dieses Jahres die AfD-Vorsitzende Alice Weidel in der Financial Times für einen deutschen Rückzug aus der EU. Daraufhin hagelte es ordentlich Kritik von den demokratischen Parteien. Laut ihnen gleiche ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union einem Selbstmordkommando. Doch wieso braucht Deutschland die EU und warum gefährdet die AfD durch ihre Dexit-Propaganda die Stabilität unseres Landes?

Der Begriff Dexit setzt sich wie der britische Brexit aus „Deutschland“ und „Exit“, also Austritt, zusammen. Der AfD zufolge beschränke die Europäische Union die Handlungsfähigkeit und Souveränität Deutschlands. Souveränität bezieht sich historisch auf den Nationalstaat und dessen Anspruch, unabhängig und nur dem eigenen Willen unterworfen zu sein. Seit der Gründung der EU setzen die Mitgliedstaaten auf eine „europäische Souveränität“. Die Mitgliedstaaten streben stets gesamteuropäische Lösungen an und angesichts der zunehmenden Konkurrenz hinsichtlich der Großmächte wie China oder den USA ist es für die Mitgliedstaaten von Vorteil. Die AfD-Parole einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit ist faktisch falsch. Gerade durch die EU wird diese sogar erhöht.

Die Wissenschaft ist sich einig: die Folgen eines Dexits wären für Deutschland fatal. Erstens ermöglicht uns der europäische Binnenmarkt das große Ausmaß an Export. Ohne die EU würde es mit unserem Handel demnach bergab gehen. Zweitens leidet Deutschland bereits unter einem Fachkräftemangel. Ohne die Mitgliedschaft in der EU würden die Einwanderungsregeln verschärft werden und das Fachkräfteproblem vergrößert. Drittens würde Deutschland nach dem Dexit wirtschaftlich abhängiger werden von anderen wirtschaftsstarken Nationen wie China oder den USA. Außerdem würde Deutschlands Austritt aus der Europäischen Union Wladimir Putin weiter stärken und ihn ermutigen, seine Expansionsfantasien auf die europäischen Länder auszuweiten.

„Die AfD-Position ist nicht nur populistisch und widersprüchlich, sondern sie würde das Ende von Wohlstand und Autonomie Deutschlands bedeuten.“

Marcel Fratzscher, Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Bereits ein Blick nach Großbritannien müsste genügen, um zu erkennen, wie schnell es mit einem Staat nach einem EU-Austritt abwärts gehen kann. Großbritannien hat auch vier Jahre nach dem Brexit noch mit den Wirtschaftsfolgen zu kämpfen. Seit dem 1. Januar 2021 ist das Land auch nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion oder des Binnenmarktes. Dadurch kam es vor allem zu Beginn teils zu erheblichen Verzögerungen im Handel. Doch auch heute noch fehlt es infolge des Brexits etwa an Medikamenten. Zudem ist die wirtschaftliche Leistung Großbritanniens seit jeher um sechs Prozent gesunken. Umgerechnet kostet das Großbritannien jährlich ganze 163 Milliarden Euro.

Nicht zu vergessen ist, wie viel schwerer unser Alltag als deutsche Bürger werden würde. Aktuell dürfen wir dank der europäischen Mitgliedschaft frei innerhalb der EU reisen und haben auch einen Anspruch auf Studienplätze in einem anderen Mitgliedstaat. Ein Leben ohne die Europäische Union wäre dementsprechend mehr als nur ein totales Downgrade.